Hallo Zusammen,
am 12.Dezember, und damit nur noch zwei Tage entfernt, erscheint mein neues Buch "Aus dem hundsgewöhnlichen Leben des Thomas E."
Ich habe diesmal die vertrauten Krimi/Thriller/Horror-Gefilde verlassen, um etwas ganz anderes zu schreiben. Ein weiteres Experiment, wenn man so will. Ob mir auch ohne Mord und Totschlag eine gelungene Erzählung geglückt ist, davon könnt Ihr euch ab Freitag selbst überzeugen.
Exklusiv und vorab gibt es hier für Euch die ersten drei Kapitel zum Probelesen.
Ich wünsche viel Spaß damit und hoffe, es gefällt.
Bis die Tage
Christian
Leseprobe: http://www.file-upload.net/download-9978458/Leseprobe_tomE.pdf.html (PDF)
Kapitel
2
Kapitel
3
am 12.Dezember, und damit nur noch zwei Tage entfernt, erscheint mein neues Buch "Aus dem hundsgewöhnlichen Leben des Thomas E."
Ich habe diesmal die vertrauten Krimi/Thriller/Horror-Gefilde verlassen, um etwas ganz anderes zu schreiben. Ein weiteres Experiment, wenn man so will. Ob mir auch ohne Mord und Totschlag eine gelungene Erzählung geglückt ist, davon könnt Ihr euch ab Freitag selbst überzeugen.
Exklusiv und vorab gibt es hier für Euch die ersten drei Kapitel zum Probelesen.
Ich wünsche viel Spaß damit und hoffe, es gefällt.
Bis die Tage
Christian
Leseprobe: http://www.file-upload.net/download-9978458/Leseprobe_tomE.pdf.html (PDF)
Jeder
Schritt trägt einen fort und bringt einen weiter in eine unbekannte Zukunft.
Man kann die Zeit nicht zurückdrehen oder einfach wieder zurücklaufen. Denn das
Vergangene ist nicht mehr. Es bleiben nur Erinnerungen, mittelalterlichen
Ruinen gleich, die langsam im Strudel des Lebensflusses zerfallen. Deshalb
schau nicht länger zurück. Geh Schritt für Schritt deinem neuen Leben entgegen.
Unbekannter
Verfasser (Quelle: Internet)
Als ich den Punkt erreicht hatte, an dem ich
diese Tatsache endlich begriffen hatte, ließ ich mich schwer atmend auf den
Küchenboden sinken und versuchte, mir darüber klar zu werden, was das für mich
bedeutete. Das Laminat meines Appartements fühlte sich kühl und glatt unter
meinen Fingern an, während ich so da saß und langsam anfing zu akzeptieren,
dass ich die Vergangenheit nicht verändern konnte. Alle Mühen der letzten
Wochen waren vergebens geblieben. Ich konnte nichts mehr rückgängig machen.
Meine Beziehung war nach rund sechs Jahren zu Bruch gegangen, die Liebe meines
Lebens fort, mein Studium befand sich in einem Zustand, den man nur schwer als
„nicht gescheitert“ verkaufen konnte. Mein Leben war ein Chaos, eine Ansammlung
von Scheiße. Scheiße, in der ich zu ertrinken drohte.
Ich wage übrigens zu bezweifeln, dass ich an
diesem trügerisch sonnigen Morgen im März eine große Ausnahme zum Rest der
Menschheit darstellte. Ich behaupte, beinahe jeder gerät früher oder später
einmal in diese Art einer emotionalen Krise. Für mich war es, während ich
nutzlos mit den Handflächen über den Fußboden strich und ins Nichts starrte,
einer jener Momente, die nur existieren, um einen glauben zu machen, dass es
keinen Ausweg mehr gibt, dass das Leben jeden Sinn verloren hat und das man
allein im Dunkeln hockt, während man jede Hoffnung auf ein bisschen Licht
begraben hat.
Ich beglückwünsche an dieser Stelle
ausdrücklich all die glücklichen Bastarde, die sich bisher nie in einem der
gefühlsbestimmten Jauchegrubenlöcher des Lebens wiedergefunden haben. Mein
einfacher Ratschlag dazu lautet: Tut alles dafür, damit es so bleibt. Denn
alles, was einem in jenen Augenblicken bleibt, ist, zu akzeptieren, dass das
Vergangene unweigerlich vorbei ist und das Neue darauf wartet, erlebt zu
werden.
Nur, wie erkennt man das? Wo fängt man an und
wie geht man dabei vor?
Es gab und gibt keine Anleitung für einen
solchen Fall und ich werde mich davor hüten, zu behaupten, ich hätte einen
Königsweg aus dem Schlamassel gefunden. Dem war nämlich ganz und gar nicht so.
Die Geister meiner Vergangenheit wehrten sich
in diesen Minuten noch immer (nach so langer Zeit) heftig dagegen, dass man sie
wie alte Fotografien in eine Kiste zu stecken versuchte. Sie sträubten sich
ganz und gar gegen die Tatsache, dass ich sie überdauern würde; früher oder
später. Das versuchte ich mir zumindest in diesem Augenblick einzureden.
Und so raffte ich mich nach einer Weile wieder
auf, stützte mich auf die Küchenablage und atmete tief durch, ehe ich die Augen
schloss und die Bilder vor meinem inneren Auge von Neuem begannen, auf mich
einzuprasseln.
Anfangs wirkten sie verzerrt und unwirklich,
gewannen aber rasch an Schärfe und ich konnte bald den Ort, an dem die
Ereignisse ihren Anfang gefunden hatten, deutlich vor mir sehen. Es war, als
sei es erst gestern gewesen. Ich erkannte all das Glück, die Freude, die
warmherzigen und einzigartigen Momente vor mir, die ich mit meiner Ex-Freundin
erlebt hatte ... Ex-Freundin, der Begriff hörte sich für mich weiterhin schräg
an. Gleichwohl war Jenny mittlerweile genau das: eine Freundin, meine Freundin,
die es nun nicht mehr war und die sich fortan, so wurde es mir zumindest
zugetragen, von jenem Klempner flachlegen ließ, der ihr kurz nach unserer
Trennung den Duschablauf ihrer neuen Wohnung repariert hatte. Viel
klischeebehafteter hätte diese letzte Ohrfeige meines vergangenen Lebens
vermutlich nicht sein können. Und jetzt endgültig genug davon!
Die Gedanken daran verärgerten mich aufs Neue.
Ich war gerade eben in der Küche meiner Wohnung zusammengebrochen und hatte
mich nur mühsam mit dem wiederholten Vorsatz erhoben, das alles hinter mir zu
lassen. Und es war keine Sekunde vergangen, da steckte mein Kopf bereits erneut
mitten in der Vergangenheit, mitten in meinem von Kram zerfressenen alten Ich,
das ich so dringend loswerden musste.
Es war eine ungesunde Gefühlsmischung aus
Trauer und Wut, die in mir kochte und mir die Tränen in die Augen trieb,
während ich hilflos und mit geballten Fäusten auf die Anrichte einschlug, bis
die Knöchel rot waren und zu sehr schmerzten, um damit fortzufahren.
„Sechs Jahre, sechs verdammte Jahre, in denen
ich alles für unsere Liebe geopfert habe“, sagte ich laut zu niemandem. „Ich
habe alles gegeben. In meinem Inneren habe ich gewusst, dass sie dir Richtige
ist. Umsonst, alles umsonst.“
Die Sätze waren nicht neu. Ich hatte sie in den
vergangenen Wochen so häufig gesagt, dass ich nicht mehr zählen konnte, wie oft
sie über meine Lippen kamen.
Ja, es war so,
dachte ich, aber das macht es jetzt nicht besser. Du musst wieder
klarkommen. Du musst dein Leben in den Griff bekommen. Kneif die Arschbacken
zusammen und bring alles wieder auf die Reihe.
„Alles auf die Reihe bringen?“
Ich lachte, empfand aber keine Freude dabei,
denn ich musste mich einfach umgucken, um zu erkennen, wie unerfüllbar das sein
würde.
Mein Geist hatte sich gehen lassen, und weil
das alleine keinen Spaß machte, hatte er meinen Körper direkt ebenso dazu
angestiftet. Das hatte zwar genauso keinen Spaß gemacht, aber wenigstens
rottete mein Hirn in trautem Einklang mit dem Rest meines Kadavers dahin.
Das Appartement glich einer Deponiehalle.
Überall lag Müll. Verpackungen, Eisbecher, Pizzakartons, Plastikbesteck,
Rotzfahnen. Mein Telefon war begraben unter einem Berg aus Bierdeckeln und
Kronkorken. Pfandflaschen, wohin das Auge blickte. Ich hatte es nicht einmal
mehr fertiggebracht, benutztes Geschirr abzuspülen, sodass sich Teller mit
Speiseresten rundum verteilten. Einige davon hätten bei diversen
Kunstausstellungen zweifelsohne für Aufmerksamkeit im Bereich moderne oder
abstrakte Kunst gesorgt. Es fehlten lediglich einige prägnante Bezeichnungen: Depression
3.0 - Dritte Woche, Brokenheartdishes oder Herzschmerzspeiserest
- ein Klecks Senf auf grasgrünem Teller mit Spuren von Ketchup.
Vermutlich roch es abscheulich hier drin. Nein …
Ich musste nicht länger darüber nachdenken, um eine Bestätigung zu finden, dass
es so war. Es stank. Die Fenster waren lange nicht geöffnet worden, die Haustür
nur, wenn ich mich nach draußen in die Welt stürzen musste, um dem
schleichenden Hungertod zu entgehen. Eingelassen hatte ich niemanden, seit ich
allein wohnte. Besorgte Anrufe beantwortete ich in einer Mischung aus
gespieltem Trotz und aufgesetzter Jetzt-erst-recht-Mentalität. Die ständigen
Nachfragen: „Geht es dir auch wirklich gut?“, verrieten, dass ich nicht sehr
gut schauspielern konnte. Und wenn schon. Irgendwann unterließ ich es, ans
Telefon zu gehen. Stattdessen schrieb ich jeden dritten Tag SMS an diverse
Familienmitglieder, in denen ich beteuerte, dass mit mir alles in Ordnung sei,
und dass ich einfach etwas Zeit brauchte, um mich zu finden. Alles gelogen.
Ich hatte mich ausgeklinkt. Das Leben ging
weiter, aber ich ging nicht mit.
Zunächst schien dies vieles einfacher zu
machen. Es war naheliegend, sich allem zu verweigern und die Augen vor den
Dingen zu verschließen, die auf einem lasteten. Schon bald jedoch hatte ich
erkennen müssen, dass dem nicht so war.
Meine Probleme wurden größer und ließen sich
bald nicht mehr ausblenden. Das nächste Semester meines Studiums brach an,
wurde länger und ging zu Ende, ohne dass ich ein einziges Mal auf dem Gelände
der Universität aufgetaucht war. Geldsorgen hatte ich seit jeher, doch nachdem
die Gläubiger meines Studiendarlehens Nachweise für meinen Studienfortschritt
verlangt und diese (schlichtweg aufgrund des nicht vorhandenen Fortschritts)
nicht erhalten hatten, vergrößerten sie sich noch einmal erheblich. Freunde
boten mir Hilfe an. Ich lehnte jede ab. Schleichend verwandelte ich mich in ein
Wrack. Ich wurde zu einem Schatten meiner selbst. Wäre mir meine Mutter auf der
Straße über den Weg gelaufen, sie hätte mich in diesen Tagen sicher nicht
erkannt. Und ich, ich tat nichts dagegen.
Wenn irgendwann einmal eine Geschichte über
mich erzählt werden wird, so beginnt sie vermutlich – nein, sie beginnt sogar
ganz sicher mit den Worten: Tom Eckert vegetierte vor sich hin und wäre eher
heute als morgen in seiner eigenen Scheiße erstickt.
Und so war es auch. Ich meine, es wäre mit an
Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit exakt so passiert. Dass es nicht dazu
kam, verdankte ich meiner Vermieterin, Hannelore Dimmer.
Dabei fällt mir gerade ein, dass ich mich nie
bei ihr bedankt habe. Wobei ich bis heute nicht weiß, ob sie sich mehr Sorgen
um mich oder um die Wohnung gemacht hatte, in der ich monatelang wie ein
Höhlenmensch gehaust hatte.
Jedenfalls war sie es, an ebendiesem
Märzmorgen, an dem die Sonne so verflucht grell durchs Küchenfenster
hineinschien und mir einen tollen Tag vorjubelte, die ohne jede Vorwarnung,
ganz plötzlich und mit ungeahnter Vehemenz gegen meine Wohnungstür zu trommeln
begann. Das geschah just, nachdem ich mich von meinem jüngsten Zusammenbruch
erholt und mir die Tränen aus dem Gesicht getrocknet hatte.
Ich hörte sie hinter der Tür einige schnelle
Sätze in der ihr eigenen hysterisch unmelodischen Stimme sagen, die mich
ständig an Fingernägel erinnerte, die über eine Schiefertafel kratzten. Eine
Stimme, die einem die Gänsehaut in den Nacken trieb. Auch heute war das nicht
anders. Und das, obwohl man durch das massive Holz kein Wort hatte verstehen
können.
Ich vermutete, dass sie Einlass begehrte, was
ich jedoch allein am eindringlichen Türklopfen festmachte.
Weil ich lediglich eine Jogginghose trug,
ungewaschen, -gekämmt sowie -rasiert war, zog ich es vor, nicht zu öffnen. Was
immer Frau Dimmer wollte, es würde sicher Zeit haben.
Zumindest ein T-Shirt, sofern ich eines in
meinem Schrank fände, wollte ich überziehen. Wenn man meinen Anblick schon
ertragen musste, dann wenigstens in mindestens zwei Kleidungsstücke gehüllt.
Selbst danach wäre ungewiss gewesen, ob ich geöffnet hätte. Ich wollte darüber
nachdenken und eine Entscheidung treffen, sobald ich angezogen war.
Meine Vermieterin gab mir nicht einmal die
wenigen Sekunden, mir den übrigen Rotz des vorangegangenen Heulkrampfs restlos
aus dem Bart zu wischen, bevor etwas im Schloss knackte dann quietschte und die
Wohnungstür daraufhin mit einem Schwung nach innen schnellte.
Frau Dimmer, eine dünne, groß gewachsene Frau
in den späten Fünfzigern mit blondierten Haaren , spitzer Nase, mit Botox
vollgepumpter Stirn und dünnem Mund. Gekleidet in einen schwarzen Zweireiher
und braune hochhackige Schuhe. Zwischen Fingern, deren rot lackierte Nägel halb
so lang waren wie ihre Daumen, trug sie ein nobel aussehendes Handtäschchen.
Mit ihren Krallen hätte die Frau jeder Großkatze des Erdballs Konkurrenz
gemacht und es vermutlich sogar mit einem Grizzlybären aufgenommen, wenn es
darauf angekommen wäre. Und ich bin mir außerdem sicher, dass (bei der Miene,
die Sie aufsetzte, nachdem ihre Augen einmal erfasst hatten, was hinter der Tür
auf sie wartete) selbst ein Elefant den Schwanz eingekniffen und den Rüssel
eingerollt hätte.
Als sie so dastand, für den Bruchteil einer
Sekunde sprach- wie regungslos, schien es gleich mehrere Grad kühler in meiner
Behausung zu werden. Ob es der plötzliche Durchzug war oder mehr, ich vermag es
nicht mit letzter Gewissheit zu sagen. Wobei es, aufgrund der nicht geöffneten
Fenster (objektiv betrachtet), Ersteres nicht gewesen sein kann. Es spielte
keine Rolle. Genauso wenig, dass ich ein gänzlich anderes Bild von Hannelore D.
in Erinnerung hatte. Wobei sich dieses auf den Tag bezog, an dem meine
Ex-Freundin und ich den Mietvertrag unterzeichneten und die Schlüssel von ihr
entgegennahmen. Sie schien mir damals wesentlich sympathischer gewesen zu sein
als an diesem Morgen, aber es war gut möglich, dass das einfach der Situation
geschuldet war.
„Um Gottes willen“, hörte ich sie hervorbringen
und beobachtete aus der Küche heraus, wie sie ungläubig dreinblickend und naserümpfend
zwei Schritte in den Wohnbereich machte.
„Schrecklich ... Oh weh … Einfach …
unbeschreiblich …Was stinkt denn hier so? … Puh …“
Unentschlossen trat ich vor, obwohl ich ein
abscheuliches Bild abgab.
Wie die Wohnung so der Mieter,
dachte ich in einem Anflug von Selbstironie und schämte mich zur gleichen Zeit
in Grund und Boden.
„Frau Dimmer“, waren meine einzigen Worte, als
ich zu ihr trat. Es sollte fragend, verwirrt, vielleicht schuldbewusst klingen,
aber ich schien sie erschreckt zu haben. Hannelore zuckte sichtlich zusammen,
als sie mich bemerkte, und machte einen schnellen Schritt zurück, wie es die
meisten Frauen zu tun pflegen, wenn sie unvorbereitet eine Spinne oder ein
ekliges Insekt im Raum entdecken.
„Herr Eckert. Das ist … Das ist … Was ist hier
… ?“
Sie rang um Fassung, wusste offenbar nicht, wo
sie anfangen sollte. Viele Worte waren jedoch kaum nötig. Ich konnte sie auch
so verstehen.
Die kleine Wohnung war ein Schmuckstück gewesen,
als wir sie übernommen hatten. Hell, mit hochwertigem Laminat, cremefarben
gestrichenen Wänden, blitzsauberen Fenstern und keinem Staubkorn in keiner
Ecke, ausnahmslos. Der Anblick von Müll, dreckigem Geschirr und ungewaschener
Wäsche überall musste für sie wie ein Schlag mit dem Hammer gegen die Brust
sein oder wie eine schallende Ohrfeige oder wie beides zugleich.
Es dauerte, bis sie sich zu einem klaren Satz
durchringen konnte.
„Unerhört, wie es hier aussieht, Herr Eckert.“
„Ja, unerhört“, bestätigte ich kleinlaut.
„Das ist … Das ist nicht tragbar.“
Auch das war mir klar. Sie drehte sich im
Kreis, hob die Arme und ließ sie mit einem undefinierbar traurigen Ton auf den
Lippen sinken, sodass die Handtasche wild in zwischen den Fingern schwang.
„Darf ich fragen, was mir die Ehre verleiht?“,
fragte ich, um etwas zu sagen. Sie schaute mich an und ich fühlte mich dabei
tatsächlich wie ein ekliges Insekt, das gerade aus einem Misthaufen gekrabbelt
war.
„Ich erhielt einen Anruf.“ Mehr Information war
ihr nicht zu entlocken. „Zu Recht, wie ich zu meinem Erschrecken eingestehen
muss. Wo ist Frau Meier?“
„Ausgezogen. Vor sechs Monaten“, war meine
Antwort. Als ob das alles erklären würde. Nun ja, im Kern tat es das. Das
Problem dabei war, dass Hannelore Dimmer die Zusammenhänge nicht kannte, und
ich ihr genauso gut hätte berichten können, dass Jenny Meier sich in ein
Schnitzel verwandelt hatte und aus dem Fenster gesprungen war.
„Ich verstehe nicht“
„Ich auch nicht.“ Mit den Achseln zuckend ließ
ich mich auf den letzten freien Flecken des weißen „Ektorp“ Ikea-Sofas sinken,
das meine Ex und ich gemeinsam ausgesucht und gekauft hatten.
„Das ist … Das ist nicht tragbar“, wiederholte
meine Vermieterin und wedelte wild mit dem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum.
„Das alles hier … Das alles wird Konsequenzen haben.“
Sie
wartete nicht auf eine Erwiderung. Stattdessen drehte sie sich um und
marschierte zur Tür hinaus. Ich wusste, was das für mich hieß und machte mir
nicht die Mühe, hinterherzurennen, um ihr ins Gewissen zu reden. Ich glaube,
mir war an diesem Morgen selbst am meisten bewusst, dass es keine Alternative
gab. Andernfalls wäre ich mit Sicherheit krepiert. Vielleicht hätte ich mir am
selben Tag einen Strick besorgt. Wer kann mit Sicherheit sagen, was ein Mensch
tut, wenn er keinen Sinn mehr in seinem Leben erkennt. Wie gesagt, ich habe
mich nie bei Hannelore Botoxgesicht Dimmer bedankt und ich weiß heute
noch nicht, wer sie angerufen hat und weshalb sie einen zweiten Schlüssel zu
meiner Wohnung besaß. Vieles bleibt eben immer ein großes Rätsel, eigentlich
der Hauptteil unseres Lebens. Das gehört vermutlich einfach dazu, andernfalls
wäre es langweilig und vorhersehbar. Und wer will das schon?
Kapitel
2
Ich gebe zu, ich war nicht einmal traurig, dass
Hannelore mich rausschmiss. Ich hasste diese Stadt. Ich hasste diese Wohnung.
Ich hasste die Gründe, die mich hergebracht hatten. All das war unweigerlich
mit Jenny verknüpft. Jenny hier, Jenny da, Jenny überall. Sie war wie ein böser
Dämon, der mein Leben zerstörte. Dabei war sie nicht einmal anwesend. Ich hatte
seit nach ihrem Auszug kaum mehr ein Wort mit ihr gewechselt und sie außerdem
nicht wieder zu Gesicht bekommen. Es war so, als sei sie vom Antlitz der Welt
verschwunden und trotzdem plagte sie mich auch nach diesem Tag noch. Selbst
heute geistert sie manchmal durch meine Träume, sodass ich verwirrt aufwache
und mit einem seltsamen Gefühl in der linken Brust in den neuen Tag starte.
Schön ist das nicht, aber darum soll es hier ohnehin nicht gehen.
Es dauerte insgesamt drei Tage bis Hannelore
Dimmer alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte. Woher sie die Telefonnummer und
Adresse meiner Eltern hatte, verschwieg sie. Viele Worte wechselten wir ohnehin
nicht mehr. Lediglich die Aufforderung, die sofortige Beendigung des
Mietvertrages wegen außergewöhnlicher Umstände zu unterzeichnen und folgende
Sätze hörte ich noch von ihr: „Spätestens übermorgen sind Sie hier raus. Ich
bezweifle stark, dass Sie ihre Kaution wiedersehen werden. Die Wohnung ist in
einem enorm schwachen Zustand. Ich bin sehr enttäuscht, Herr Eckert, sehr
enttäuscht.“
Kurz nachdem Hannelore gegangen war kamen meine
Eltern. Sie hatten einen Sprinter angemietet, Wäschekörbe, Umzugskartons,
Müllsäcke und Putzmittel dabei. Ich konnte ihre Blicke kaum ertragen. Obwohl
sie nichts sagten und mir keinen Vorwurf machten, war doch klar, dass ich eine
Schande für sie war. Ein 24-jähriger mit Abitur, der sein Studium und
eigentlich sein ganzes Leben gegen die Wand gefahren hatte, weil seine
Beziehung zerbrochen war und der nun (in Ermangelung an Alternativen) zurück
ins Nest gekrochen kam.
Ich möchte dazu sagen, dass ich das nicht
wollte. Meine Habseligkeiten wurden ungefragt in den Transporter geladen. Stück
für Stück wurde die Wohnung ausgeräumt, von meinen Eltern und meinen
Geschwistern, die nach Feierabend vorbeikamen, um mit anzupacken. Ich stand die
meiste Zeit daneben, umklammerte paralysiert einen Strauß Trockenblumen, den
ich von einer Fensterbank gerettet hatte, und bemerkte, wie ich mich mit jedem
über die Türschwelle getragenen Karton mehr und mehr aufzulösen schien. Als
mein Bruder und mein Vater zuletzt das Sofa hinaustrugen, konnte ich die Tränen
nicht mehr zurückhalten. Meine Mutter tröstete mich, so wie sie konnte, bevor
sie sich wieder daran begab, meinen Müll zu beseitigen.
Nein, ich wollte nicht zurück und war mir zur
gleichen Zeit nicht darüber im Klaren, was ich überhaupt wollte.
Der Sprinter rollte zweimal vom Hof. Mir war
nie klar gewesen, wie viele Dinge ich besaß und es war mir in diesen Stunden
gleichwohl vollkommen egal. Von mir aus hätte man alles auf einen Haufen legen
und verbrennen können, das wäre nicht derart viel Arbeit gewesen und hätte mir
ein weniger schlechtes Gewissen gemacht, als jede einzelne Schweißperle, die
die Umzugsarbeit meiner Familie abverlangte.
Es war weit nach Anbruch der Dunkelheit, als
meine Mutter den letzten Eimer Schmutzwasser in die Toilette goss und hinunterspülte.
Danach war es allein an mir, überall das Licht auszuschalten und die
Wohnungstür hinter mir zuzuziehen. Mein Vater klopfte mir aufmunternd auf die
Schulter, bevor er das Appartement verließ. Mutter strich mir mit den vom
Putzen angegriffenen Fingern durch die Haare, ehe sie ging. Ich selbst blieb
lange und mit hängenden Schultern im Wohnbereich stehen, weiterhin den alten
lilafarbenen Strauß Trockenblumen in Händen, und kämpfte gegen die Gefühle an,
die mich zum wiederholten Male zu überwältigen drohten.
„Versager“, flüsterte eine Stimme hinter meiner
Stirn. „Elender Versager.“
Eine Träne, dann eine weitere und dann folgte
ein ganzer Strom, der stumm an meinen Wangen herablief.
Männer weinen nicht,
versuchte ich mir einzureden.
Es half nicht. Die Situation war einfach zu
viel für mich. Jemand anderes hätte an meiner Stelle vielleicht anders
reagiert, gefasster, männlicher, aber ich war dazu nicht in der Lage. Man ist
nun einmal, was man ist. Meine Wenigkeit war in diesen Tagen ein Häufchen
Elend.
„Kommst du endlich?“, hörte ich meinen Bruder
hinter mir fragen. Als ich mich umdrehte und er bemerkte, wie es mir ging,
schob er schnell: „Oh, ich sehe schon. Kein Problem“, hinterher. „Wenn du Zeit
brauchst, wir können noch ein bisschen warten.“
„Nein“, flüsterte ich und schüttelte mit
Nachdruck den Kopf. „Ich bin hiermit fertig.“ Meine Hände machten eine vage
Andeutung, was ich damit meinte, ehe sie den Blumenstrauß in den neben der Tür
stehenden Mülleimer beförderten...
Dann folgte ich ihm nach draußen, bevor ich ein
letztes Mal umdrehen musste, um das Licht in der Wohnung zu löschen und die Tür
zu verschließen.
Den Schlüssel (in einem Umschlag verpackt) warf
mein Vater letzten Endes in Frau Dimmers Briefkasten. Ihre Wohnung befand sich
im Erdgeschoss, aber sie war nicht zu Hause oder wollte partout die Tür nicht
öffnen.
Danach
fuhr der Sprinter mit mir an Bord zum letzten Mal vom Hof. Aber das war nur
dieser Teil der Geschichte.
Kapitel
3
Drei Wochen waren seit meinem unerwarteten
Auszug vergangen und noch immer fühlte es sich seltsam an, wieder im eigenen
Kinderzimmer zu leben, umgeben von nicht ausgepackten Kartons. Ich sah keinen
Sinn darin, meinen Kram in Schränke und Regale zu räumen. Irgendwann würde ich
ohnehin alles wieder hier hinaustragen.
Die Tage vergingen langsam, langsamer als in
meiner Wohnung. Es gab keine Erklärung, weshalb das so war und doch war ich
sicher, dass es nicht anders sein konnte. Vermutlich spielte es eine gewisse
Rolle, dass ich mich nicht länger um meine Ernährung kümmern musste. Der
Kühlschrank war immer gefüllt. Ganz gleich, ob es darum ging, einen Snack
abzugreifen oder ein ganzes Frühstück zu sich zu nehmen. Ich bekam jeden Tag
ein Mittagessen. Wenn ich nicht ins Esszimmer kam, wurde es beiseite gestellt
oder auf mein Zimmer gebracht. Mehrmals bat ich meine Mutter darum, nicht für
mich zu kochen. Sie ließ es sich nicht ausreden.
„Es ist lange her, dass ich für eines meiner
Kinder gekocht habe und auf Enkelkinder warte ich bisher vergebens. Also lass
mich doch einfach machen“, war stets die Antwort. Ich konnte es ihr kaum
verübeln.
Meine Eltern hatten insgesamt vier Kinder in
die Welt gesetzt. Meinen großen Bruder Mike, meine zwei Jahre ältere Schwester
Susanne und meine kleine Schwester Marie. Marie war erst im Laufe des letzten
Jahres ausgezogen, um in Köln irgendwas mit Sport und Pädagogik zu studieren
und so war im Haus meiner Eltern zum ersten Mal nach dreißig Jahren außer den
beiden niemand mehr gewesen. Für meine Mutter, die halbtags arbeiten ging, eine
Situation, die sie, und daraus hatte sie keinen Hehl gemacht, unausgefüllt
zurückgelassen hatte. Wie oft hatte sie nach Maries Auszug davon gesprochen,
dass es Zeit wurde, dass jemand von uns ein paar Kinder in die Welt setzte.
Noch vor zwölf Monaten, obwohl es damals schon
längst zwischen Jenny und mir kriselte, hätte ich ihr diesen Gefallen zu gerne
getan. Reines Glück, dass es nicht so gekommen ist. (Die armen Kinder oder
vielleicht auch nicht. Möglich, dass alles anders gelaufen wäre. Unmöglich zu
sagen, was tatsächlich geschehen wäre.)
Mein Vater kam mit meiner Anwesenheit ebenfalls
besser zurecht, als ich ursprünglich angenommen hatte. Oftmals saßen wir
abends, nachdem er von der Arbeit gekommen war und gegessen hatte, bei einem
Bier zusammen und unterhielten uns über dies und jenes. Manchmal gesellte sich
Mutter dazu. Wir redeten und redeten, bis es Zeit wurde, zu Bett zu gehen. Ein
Thema vermieden die beiden dabei penibel. Keiner stellte je eine Frage zu
meinen Zukunftsplänen.
Einerseits erleichterte mich das, weil mir
bewusst war, dass sie mich nicht damit belasten wollten, andererseits wurde mir
flau im Magen bei dem Gedanken daran, dass ich ihnen nicht darauf antworten
konnte, wenn sie es irgendwann doch einmal täten. Denn immer wenn ich mit
offenen Augen im Dunkeln meines Kinderzimmers lag, tauchte zwangsläufig
irgendwann ebendiese Frage auf. Zwar versteckte sie sich geschickt zwischen
Erinnerungen an Jenny und sinnlosen Überlegungen, die sich daran orientierten,
wie ich sie zurückgewinnen konnte, und doch kam sie mir beständig in den Sinn,
wenn ich von allem übrigen Nachdenken bereits erschöpft war. Und es spielte
keine Rolle, wie müde ich zu diesem Zeitpunkt auch immer war. Sie hinderte mich
ständig am Schlafen. Es gab in diesen Tagen keine Nacht, in der ich vor drei
Uhr am Morgen die Augen schloss.
Am bittersten (neben der permanenten
Übermüdung) war dabei die Tatsache, dass ich keine Antwort fand. Ich drehte
mich ständig im Kreis.
Ein Teil von mir versuchte, mich davon zu
überzeugen, an die Uni zurückzukehren und mein brachliegendes Studium
weiterzuführen. Ein anderer schlug vor, einen Ausbildungsplatz zu suchen, da
ich für das freie Studieren eben offensichtlich nicht geeignet war. Es gab nun
einmal Menschen, denen lag das eigenverantwortliche Planen und Durchführen
eines Studiums mehr als anderen. Unbeantwortet blieb dabei regelmäßig, welche
Ausbildung ich anstreben wollte. Ein dritter Teil hatte die banale Vorstellung,
irgendwohin auszuwandern, bevorzugt nach Jamaika oder Kuba, um mich dort als
Cocktailmixer durchzuschlagen.
Ich war ein ganz passabler Bartender und hatte
hin und wieder in den Semesterferien in Cocktailbars in der Umgebung
ausgeholfen. Dies jedoch zu seinem Hauptberuf zu machen und davon leben zu
wollen, das war eine ganz andere Sache. Zumal der Idee einer Cocktailbar am
Strand von Jamaika zwar irgendwie ein romantisch verklärter Kitsch anhing, sie
nüchtern betrachtet allerdings kaum zum gewünschten Ergebnis geführt hätte. Das
konnte alles nicht dermaßen einfach und erfolgsgarantiert sein, andernfalls
gäbe es an den weißen Stränden der Südsee wohl ausschließlich Cocktailmixer,
die sich mit ihren zusammengezimmerten Strandbars dichter drängten als die
dortigen Palmen.
Manchmal
kamen mir mitten in der Nacht die wildesten Ideen und mit ihnen der Elan, sie
sofort in die Tat umzusetzen, was nach dem Abklingen des damit einhergehenden
Endorphinschubs jedoch regelmäßig und schnell in Katerstimmung umschlug. Die
Erkenntnis war regelmäßig, dass das alles nicht so umsetzbar war, wie ich mir
das just in diesen Sekunden vorstellte. Einige Schnapsideen waren (bei
genauerer Betrachtung) gar nicht erst machbar. Kurzum: Es war letztendlich nie
ein Einfall dabei, hinter dem ich zu einhundert Prozent gestanden hätte. Und
genau das musste ich meinen Eltern eingestehen, als sie schließlich doch
fragten.
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